Karl Jaspers und Cyborgs

 

Im zweiten Kapitel aus Karl Jaspers' „Philosophie II“ mit dem Titel „Ich selbst“ fällt auf Seite 28 eine Aussage, die ich hier etwas genauer beleuchten möchte, da sich aus dieser eine für mich interessante Fragestellung ergibt. Jaspers schreibt:

„Wäre ich mein Körperich, so wäre es sonderbar, daß doch kein Körperteil wesentlich zu mir gehört. Ich kann Glieder, einzelne Organe, selbst Hirnteile verlieren; ich bleibe ich. (...) Nur wenn durch Zerstörung des Leibes mein Bewußtsein aufhört oder durch Veränderung so gestört wird, daß mir Orientierung und Gedächtnis verlorengehen, Kommunikation unmöglich wird, Sinnestäuschungen und Wahn mich ganz erfüllen, bin ich selbst nicht mehr“ (Jaspers, S. 28).

Ich darf einzelne Körperteile und sogar Hirnareale verlieren und dabei höre ich nicht auf ich selbst zu sein. Aber wenn mir Eigenschaften, wie Kommunikation, Orientierung und Gedächtnis geraubt werden, so existiere ich nicht mehr. In einem Nachsatz schränkt Jaspers dies insofern ein, als dass ein Außenstehender mich nicht mehr durch meine Körperlichkeit wahrnehmen kann. Gibt es für dieses Problem eine Grenze? Wie viel meines Körpers darf ich verlieren oder austauschen und bleibe dabei weiter ich selbst? Wann wird der kritische Punkt überschritten, an dem dies nicht mehr der Fall ist? Was mich daran besonders interessiert ist der Aspekt des Austauschs von Körperteilen und Organen. Was vor einiger Zeit noch wie kühne Science-Fiction klang, ist heute schon Realität. Technologien treten immer näher an unseren Körper heran und beginnen mit ihm zu verschmelzen. Ich selbst trage einen Blutzuckersensor, der permanent den Glukosegehalt meines Blutes misst. Die Techniker-Krankenkasse wirbt mit myoelektrischen Armprothesen (1). Es gibt Hirn- und Herzschrittmacher (2). Organe können von einem in einen anderen Körper transplantiert werden und wir sind nicht mehr weit von einem ersten vollständig künstlichen Herzen entfernt (3). Der Cyborg, der kybernetische Organismus, ist keine Zukunftsmusik, sondern Realität. Bei der rasanten technologischen Entwicklung unserer Zeit müssen wir uns also die Frage stellen, welche Bedeutung die Kybernetisierung für uns Menschen hat. Für unsere individuelle Identität, aber auch für die Definition des Mensch-Seins.

Dieses Zitat Jaspers' möchte ich daher zum Anlass nehmen zu diskutieren, wie weit wir unsere Körper verändern und dabei wir selbst bleiben können. Ich möchte herausfinden, ob uns Jaspers in diesem Text Antworten auf diese Fragen geben kann und gleichzeitig beleuchten, wie er das Selbst und das Ich sieht und diese Sicht in einen größeren Kontext einordnen. Diskussionen um künstliche Intelligenz werde ich dabei aussen vor lassen, da sie unserem Thema nicht zuträglich sind.

Allerdings werde ich als zusätzliches Diskussionselement das Werk „The Ghost In The Shell“ von Masamune Shirow hinzuziehen, da hier solche Fragen ebenso zentrale Ausgangslage der Geschichte sind und uns so eine interessante Möglichkeit geboten wird, einen Ausblick zu bekommen, was vielleicht in Zukunft noch möglich sein wird und mit welchen Fragen wir uns daher beschäftigen müssen (4).

Jaspers ordnet das Selbst einer Gattung zu. Der des Menschen (Jaspers, S. 24). Wenn ich mir also Gedanken darüber mache, wer ich bin, dann sehe ich dies im Kontext eines größeren Zusammenhangs. Der Mensch als Gattung des Seins, der auch ich angehöre (Jaspers, S. 24). Aber was genau mich zu einem Menschen macht, vor allem vor dem Hintergrund des eingangs erwähnten Zitates, bleibt genauer zu bestimmen. Vielleicht sind es die vier Ich-Aspekte, die Jaspers uns zeigt. Das Körperich, das soziale Ich, das Leistungsich und das Erinnerungsich. Im Laufe dieses Essays werde ich auf alle vier näher eingehen und Shirows Werk dazu nutzen die daraus entstehenden Fragestellungen zu illustrieren.

Das Dasein des Ich wird in den vier Ich-Aspekten bei Jaspers materiell verwirklicht (Jaspers, S. 27). Das Selbst wird in Raum und Zeit verortet und benötigt diese Gegenüberstellung um über sich selbst nachzudenken. Ich bin im Raum anwesend, als Körper der sich bewegt und ist und was meinen Körper trifft, trifft auch mich (Jaspers, S. 27). Mein Körper ist mit meinem Ich verbunden und mein Körper ist das, wodurch andere Menschen mich als ich selbst wahrnehmen. Er erlaubt es mir mit dem Ich anderer Menschen in Verbindung zu treten und ich identifiziere mich mit ihm in seiner Gestalt (Jaspers, S. 28). Jaspers unterscheidet aber klar, dass mit seinem Körper eins zu sein nicht gleich ist wie Identischsein; „Ich bin nicht mein Körper“ (Jaspers, S. 28). Wird der Körper ausgelöscht höre ich auf zu sein, aber nicht für mich selbst, sondern nur für andere Menschen, zu denen es mir nun unmöglich ist in Verbindung zu treten (Jaspers, S. 28). Dieses Körperich ist das Substrat in dem das Nachdenken über das Ich stattfindet. Wir finden ein ähnliches Konzept in Ghost In The Shell. Durch den technischen Fortschritt ist es möglich große Teile, bis zu 90%, seines Körpers mechanisieren zu lassen (Shirow, S. 99). So ist es möglich verlorene oder kranke Körperteile zu ersetzen oder das Gehirn in einen eigens dafür hergestellten Cyberkörper transplantieren zu lassen, wodurch prinzipiell Unsterblichkeit möglich wäre. Diese Körper müssen ein Mindestmaß an Teilen aufweisen, welche die Minimalanforderungen ans Menschsein erfüllen, um als Mensch zu gelten (Shirow, S. 104). Durch dieses Verhaftet-sein im Körperlichen, fühlen sich die Cyborgs in Ghost In The Shell wie Menschen, weil sie wie Menschen behandelt werden (Shirow, S. 104). Die Frage was sie menschlich macht und was nicht scheint für sie ein wichtiges Thema zu sein, das im Laufe der Geschichte von verschiedenen Figuren immer wieder besprochen wird. Der Puppet Master dagegen, eine Entität, die im Strom der Daten im Netz entstanden ist und ein Bewusstsein seiner selbst entwickelt hat und sich daher als „lebendig“ bezeichnet, ist von einer Körperlichkeit getrennt, da er nie einen Körper besessen hat (Shirow, S. 247, 270). Er ist das Sinnbild für das nicht-identisch-sein mit dem eigenen Körper. Reicht diese Existenz im Strom von Daten aus um als räumlich und zeitlich verortet zu gelten? Und viel wichtiger noch: reicht Bewusstsein aus um als Lebensform zu gelten? Wenn ich weder mein Körperich, noch mein soziales Ich, noch mein Leistungsich und noch mein Erinnerungsich bin, dann ist der Puppet Master als lebendige Entität zu betrachten. Aber wenn ich Jaspers richtig verstehe, will er sagen, dass diese Aspekte nicht allein mein Ich bilden, sondern sie alle zusammen eben Aspekte dessen ausmachen, was wir als Ich bezeichnen, ohne gleichzeitig mit ihnen identisch zu sein. Ohne Körper, wie der Puppet Master, vollendet sich das Ich in seinem Dasein, indem es bei sich ist im Denken an sich. Er sieht sich als unvollkommen und seiner eigenen Definition von Leben als nicht gerecht. Denn er kann sich nicht fortpflanzen, nur kopieren (Shirow, S. 339-340). Ohne diese Fähigkeit, ohne einen Körper bleibt er nicht fassbar. Das objektive Ich bleibt stets bezogen auf das Ich, welches darüber nachdenkt, selbst unabhängig von äußerer Betrachtung. Und der Puppet Master schafft es nicht mit Major Kusanagi, der Protagonistin der Geschichte, mir der er verschmelzen möchte, in Kontakt zu treten, ohne dafür vorher einen Körper zu stehlen (Shirow, S. 237). Er ist nicht identisch mit diesem Körper, aber in jenem Moment ist er dieser Körper. Wäre es also tatsächlich möglich, den Geist, die Seele oder wie auch immer man das nennen mag, in einen anderen Körper zu bringen, durch Gehirntransplantation oder die Übertragung des Selbst in einen Datenstrom und anschließend in einen anderen Körper, so wäre das Ich nicht mehr an einen einzigen Körper gebunden. Aber sobald es einen Körper hat, wird es zu diesem Körper, weil dieser das Substrat ist um mit anderen Individuen in Verbindung zu treten. Die vollständige Zerstörung des Körpers, während man in diesem steckt, würde zwangsläufig den Tod zur Folge haben, wodurch das Ich aufhören würde zu existieren. Zumindest für den Beobachter. So würde ein Bewusstsein im Datenstrom nicht als Lebensform gelten, denn es fehlt ihm der Körper, auch wenn die anderen Ichaspekte durchaus erfüllt sein können. Vielleicht könnte die Hardware, durch die das Netz erst funktionieren kann, als Körper gesehen werden. Aber es ist eben kein eigener Körper. Es ist eine Körperlichkeit, geteilt mit vielen anderen Informationen und Eindrücken, die nicht die eigenen sind. Mein Körper aber gehört nur mir.

Während mein Körper ein für Aussenstehende beobachtbares Phänomen ist, dass für sie vorgegeben ist und sie deshalb mit mir als Ich in Verbindung bringen müssen um eine Identifikation herzustellen ist das soziale Ich ein von den anderen Menschen an mich gerichtetes Konzept, dass sie auf Grundlage meines Verhaltens in der Gesellschaft und der Positionen die ich in dieser einnehme auf mich projizieren. Meine Rollen, Funktionen und meine Wirkung auf andere bilden mein soziales Ich; das Bild dessen, was andere in mir sehen, an mich zurückgeben und ich daraufhin in mein Selbstkonzept einbinde (Jaspers, S. 29). Durch die Ausübung meiner Rolle werde ich zu dem was ich bin ohne mit dieser Rolle identisch zu werden (Jaspers, S. 30). Denn ich habe nicht nur eine Rolle sondern viele und ich erfülle auch nicht nur eine Funktion sondern viele. Also kann ich auch nicht mit einer von ihr identisch sein, sondern ich bin ein Bild gemalt aus vielen einzelnen Teilen. Die Tiefe, mit er ich mich mit meinem sozialen Ich verbinde ist abhängig vom Grade meiner Akzeptanz gegenüber diesem Bild (Jaspers, S. 30). Mein soziales Ich wird also stärker je mehr ich annehmen kann, diese von der Gesellschaft erklärten Rollen für mich anzunehmen. Aber ich erschöpfe mich nicht in meinem sozialen Ich. Ich kann es betrachten und verstehen, reflektieren und in ihm sein, sowie mich ausserhalb von ihm sehen (Jaspers, S. 30). Die Cyborgs in The Ghost In The Shell sehen sich als Menschen, weil sie, wie bereits erwähnt, wie Menschen behandelt werden. Sie arbeiten in allen vorstellbaren Berufen, pflegen soziale Beziehungen, Freundschaften, Liebesbeziehungen und Kontakte und müssen sich zwischen all diesen Rollen und Funktionen zurecht finden und diese miteinander vereinbaren (5). Ihr Ich wird daher auch durch diese Rollen und damit durch das soziale Ich gebildet. Der Puppet Master macht diesen Umstand in einem Gespräch mit Kusanagi geltend (Shirow, S. 335). Er zeigt ihr, dass ihre verschiedenen Teammitglieder unterschiedliche Vorstellungen davon haben wer sie ist. Chief Aramaki, der Kommandeur von Kusanagis Einheit sieht sie als aufmüpfige und manchmal ungezogene Angestellte, die aber auch durch ihre besonderen Fähigkeiten als Soldatin einen hohen Stellenwert bei ihm genießt. Für ihren Kollegen Togusa ist sie eine kritische und strenge Vorgesetzte, während der ihr am nächsten stehende Kollege Batou, der ebenfalls einen speziell angefertigten Cyberkörper besitzt auch mit ihren Konflikten bezüglich ihres sozialen Ichs und ihren existenziellen Ängsten konfrontiert wird, da er sich aufgrund seiner eigenen Daseinsform mit ihr verbunden fühlt.

Die Art und Weise wie andere Menschen uns behandeln macht uns zu dem was wir sind indem wir dieses Bilder von uns in ihnen erkennen und wir damit ein Verständnis davon entwickeln, wie die Umwelt uns wahrnimmt. Diese Wahrnehmung ist in unserem Verhalten begründet. Unser Verhalten kann aber nur über unsere Körper in der physischen Welt manifestiert werden und ist damit mit unserem Körper verbunden. Das soziale Ich funktioniert also in diesem Sinne nicht ohne Körperlichkeit. Wir werden noch sehen, dass die jasperschen Ich-Aspekte zwar isoliert betrachtet werden können, aber im Rahmen unserer Diskussion immer wieder Bezug auf das Körperich nehmen, zumindest solange man sich speziell auf die physische Welt beschränkt. Denn in The Ghost In The Shell sind all die Dinge, die das soziale Ich ausmachen auch ohne die physische Welt, nämlich im „Netz“, vergleichbar mit unserem bekannten Internet, möglich. Im Gegensatz zu unserem Internet werden die Erfahrungen im „Netz“ aber anders erzeugt. Das Bewusstsein kann durch eine Cyberbrainerweiterung nämlich vollständig ins Netz abtauchen. Während wir das Internet über Bildschirme und externe technische Geräte, respektive „Schnittstellen“, erfahren, ist es mit einer Cyberbrainerweiterung möglich im Netz zu sein. Die Gehirnströme selbst werden zu einem Teil des Netzwerks. Um sich das ein bisschen besser vorstellen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, wie genau unser modernes Internet überhaupt funktioniert.

Das Internet ist ein Netzwerk aus Netzwerken. Informationen, die in einem lokalen Netzwerk, zum Beispiel dem der Ruhr-Universität, gespeichert sind, werden, insofern sie freigegeben sind, für Nutzer zugänglich, weil sie ihr eigenes lokales Netzwerk – die Verbindung aus Endgerät (z.B. Computer oder Smartphone), Router und Telefonleitung – mit dem Internet verbinden und so ein Datenaustausch möglich ist (6). In The Ghost in The Shell wird aber das Gehirn selbst zum einem Teil des Netzwerks (und muss aus diesem Grund auch vor Hackerangriffen und Schadsoftware geschützt werden). Das Endgerät als Schnittstelle entfällt damit, auch wenn es solche Geräte in der Geschichte natürlich gibt, weil nicht alle Menschen die Fähigkeit haben das Netz so zu erleben. Wir sprechen heute auch oft von einem digitalen Selbst. Damit ist das Abbild unseres Verhaltens im Internet gemeint; die Dinge die wir posten, die Meinungen die wir so vertreten und die digitalen Spuren die wir hinterlassen bilden dieses digitale Selbst, das dadurch ein Teil unseres sozialen Ichs wird. Das Gleiche gilt für die Netzerfahrungen in The Ghost In The Shell, die durch eine Cyberbrainerweiterung möglich werden. Das zeigt, dass der technische Fortschritt und die Möglichkeit uns selbst und unsere Umwelt in einer neuen Form zu erleben die Konstruktion unseres sozialen Ichs beeinflussen und sogar erweitern werden, weil es möglich ist sich selbst und das eigene Bild auf andere Arten zu kommunizieren, zu reflektieren und damit zu konstituieren. Der Puppet Master, der in diesem Sinne keinen eigenen Körper besitzt, sondern als Intelligenz im Strom der Informationen entstanden ist zeigt uns, dass die Körperlichkeit für die Konstitution des sozialen Ich obsolet werden könnte, wenn das Bewusstsein ohne diesen im Datenstrom existieren könnte (7). Wir finden die eingangs erwähnte Aussage Jaspers' an dieser Stelle bestätigt. Es ist gleichgültig wie viele Teile meines Körpers ausgetauscht werden, ich bleibe ich selbst. Aber darüber hinaus kann es sogar möglich sein vollständig auf einen Körper zu verzichten. Die Verhaftung von Erinnerungen, Orientierung und Kommunikation könnte irgendwann nicht mehr an einen Körper gebunden sein. Die Frage, die sich dadurch ergibt und die an dieser Stelle unbeantwortet bleiben muss ist; werden wir körperlose Entitäten genauso als Lebensformen anerkennen können und ihnen die gleichen Rechte und Pflichten einräumen wie uns Menschen?

Meine soziale Rolle und meine Funktion sind eng mit dem verknüpft was ich leiste und was Jaspers als „Leistungsich“ bezeichnet (Jaspers, S. 31). Ich erlange dadurch Geltung und Wertschätzung meiner Mitmenschen und das Ergebnis meiner Leistungen ist ein Spiegel dessen was ich getan habe (Jaspers, S. 31). Dadurch bildet sich mein Leistungsich als objektive Manifestation dessen, was ich in der Welt an Veränderungen herbeiführe. Was ich leiste hat häufig, aber nicht immer, mit meiner sozialen Rolle zu tun. Doch das was ich leiste ist nicht alleine das was ich bin (Jaspers, S. 31). Die Dinge, die ich erschaffe stehen ausserhalb von mir selbst und in dem Moment, in dem ich sie fertigstelle werden sie Teil meiner Vergangenheit. Ich kann sagen, ich habe dieses und jenes geschaffen. Aber ich bin nicht dieses und jenes. Das Ding trägt einen Teil meiner schöpferischen Kraft in sich und wird damit zu einer Manifestation meiner Selbst. Aber es steht ausserhalb von mir und ich kann es betrachten und es in das, was ich von mir selbst denke aufnehmen oder auch nicht.

Objektiv werde ich mit dem was ich leiste identifiziert. Man sagt: „Jener da hat dies und jenes gemacht.“ Ich habe dieses Essay geschrieben; es ist ein Teil dessen was ich denke und wie ich die Texte Jaspers' erlebt und interpretiert habe. Ich habe sie in Verbindung zu dem Schaffen von Shirow gebracht. Das Schaffen Jaspers', Shirows und mir steht miteinander in Verbindung (8). Und jedes dieser Werke wird als Leistung dessen betrachtet, wer wir sind. Jemand wird dieses Essay lesen und bewerten ob meine Leistung gut oder schlecht war, ob sie ausreicht um die nötigen Credit Points zu erlangen oder nicht. Das was ich leiste wird so zur Identifikation dessen, was ich bin. Wäre ich nicht da, würde ich nichts leisten. Die Ergebnisse meiner Leistung sind die Brücke zwischen der physischen Welt und meinem Sein. So bringen wir die Leistung anderer Menschen mit dem in Verbindung, was wir glauben von ihnen zu wissen. Das Bild dessen wer sie für uns sind, formt sich über diese Leistung. Selbst Menschen, die gar nichts leisten – weil sie nicht wollen oder nicht können – werden von uns auf diese Art beschrieben. „Dieser da macht gar nichts.“ heißt es dann. Aber dann weiß man trotzdem wer dieser da ist, nämlich jener der nichts leistet (9).

Die Menschen und Cyborgs in The Ghost In The Shell sind ebenso in dieses Leistungssystem eingeflochten. Häufig stärker je mehr Mittel sie erwirtschaften müssen um ihre teuren Körper zu bezahlen. Dabei übersteigen manche ihrer Fähigkeiten die eines Menschen bei weitem (Shirow, Kapitel „Megatech Machine II“, S. 99-104). Da ihre Körper künstlich hergestellt werden ist es möglich ihnen bessere Sinne zu verleihen oder spezielle Wahrnehmungen, die über die menschliche Wahrnehmung hinaus gehen (z.B. Echoortung wie bei Fledermäusen) (10). Austausch von Organen und Extremitäten bedeutet auch gleichzeitig immer leistungsbereit zu sein. Invalidität ist kein Grund mehr für Erwerbsuntätigkeit. Darin steckt eine nicht zu verleugnende normative Dimension. Jaspers sagt, was ich leiste ist ein Aspekt meines Ichs, aber ich bin nicht das was ich leiste (Jaspers, S. 31). Wenn mein Körper nun durch die bestehende Möglichkeit des Organaustauschs immer potenziell leistungsfähig bleibt, bin ich auch immer dazu genötigt diese Leistung zu erbringen. Jemand, der vielleicht einen besonders ausgeprägten Geschmackssinn hat ist vielleicht ein besserer Whiskeytester oder im schlimmsten Fall Restaurantkritiker. Wer etwas besonders gut kann, von dem wird auch erwartet, dass er diese Fähigkeit auch entsprechend einsetzt. Und von dem könnte auch gefordert werden das nötige Kleingeld zu investieren seinen Körper stetig so in Form zu halten, dass er leistungsfähig bleibt. Somit entsteht unweigerlich eine normative Ebene. Auch heute ist es bereits ähnlich. Durch Sport, gesunde Ernährung und dergleichen werden unsere Körper zusehends ökonomisiert und als Werkzeug, im marxschen Sinne gewissermaßen Produktionsmittel, behandelt. Der Wert unseres Seins in der Gesellschaft ist gekoppelt an das was wir leisten. Daran hängt üblicherweise ein tadelnder Sozialneid, der jene, welche die geforderte Leistung nicht erbringen als Schmarotzer und Faulenzer diffamiert. Durch die Möglichkeit der Cyberprothetik könnte es unweigerlich zu einer Verstärkung des sozialen Drucks kommen, selbst nach schwersten Unfällen oder Krankheiten weiter einsatzbereit zu bleiben. Im Manga wird das tatsächlich wörtlich erwähnt. Es wird erwartet Leistung zu erbringen, wenn man das Privileg eines kybernetisierten Körpers genießt (Shirow, S. 41). Hier sehen wir abermals, wie das Leistungsich an die Körperlichkeit gekoppelt ist. Aber es gibt mit dem Puppet Master ebenso wieder eine Ausnahme. Auch wenn das was er leistet im Manga nicht konkret erwähnt wird, ist es durchaus vorstellbar, dass eine Lebensform im Strom der Informationen durchaus Aufgaben erfüllen könnte, zum Beispiel die Überwachung von Daten gegen Hackerangriffe, die Organisation von Informationen oder administrative Aufgaben. Dann entkoppelt sich mein Leistungsich wieder von der Körperlichkeit.

Da das was ich leiste erst beobachtbar wird, wenn es in der Zeit abläuft und erst gemessen werden kann, wenn es fertig ist, steht dieser Ich-Aspekt in Verbindung mit dem was Jaspers als

„Erinnerungsich“ bezeichnet. Die Dinge, die mir im Laufe meines Lebens widerfahren sind bestimmen das Konzept dessen, was ich heute bin (Jaspers, S. 31) (11). Hätte ich keine Vergangenheit oder würde mich von allem loslösen was einmal war, dann wäre ich wieder nur bloße Möglichkeit, weil es kein kontingentes zeitgeschichtliches Erleben meiner Selbst gäbe (Jaspers, S. 32). Indem ich mich in Bezug auf meine Vergangenheit selbst thematisiere, wähle ich in gewissen Situationen relevante Aspekte meines Lebens und Selbst aus und präsentiere diese in geeigneter Weise. Aber die alleinige Identifikation mit meiner Vergangenheit gelingt nicht vollends, denn die Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit meiner Selbst betrifft mich und mein Ich ebenso; ließe ich Zukunft und Gegenwart aus würde die Vergangenheit zum einzigen Orientierungspunkt meines Ich werden und Zukunft und Gegenwart würden so behandelt werden, als seien sie Vergangenheit, was mir wiederum die Möglichkeit raubt mich im Laufe der Zeit zu verändern und neue Erfahrungen in mein Selbstkonzept einzubinden (Jaspers, S. 32). Mein Erinnerungsich ist nötig um mich über die Zeit hinweg als einheitliches und gleichbleibendes Subjekt zu erfahren, aber der Blick auf die Vergangenheit allein raubt mir die Möglichkeit mich in meinem Selbst im Jetzt zu erfahren. Ich bin was ich erinnere zu sein, aber bin dennoch nicht damit identisch, schon allein deswegen, weil die Vergangenheit kein statisches Konzept ist. Wie ich meine Vergangenheit konzeptualisiere ermöglicht mir eine selektive Nutzung meines Selbst in Reflexion mit dem Anderen. Ich kann jedoch niemals meine volle Geschichte überblicken oder mitteilen. Die Menschen, die daran teilnehmen entwickeln ein von mir gelöstes Bild meiner Kontingenz, weil auch sie nur Ausschnitte meines Selbst in der Geschichte wahrnehmen und wenn ich von mir erzähle, wähle ich bestimmte Ausschnitte dieser Geschichte als Erzählung aus und forme dadurch das, was ich hoffe, was man in mir sieht oder was ich als relevant betrachte. Dass all dies auch für die Figuren in The Ghost In The Shell gilt muss hier gar nicht so weit betrachtet werden. Ein viel interessanterer Aspekt ist die Tatsache, dass es durch die Cyberbrainerweiterungen möglich ist, die Gehirne der Partizipanten zu hacken und ihnen so falsche Erinnerungen einzupflanzen. Ein besonders tragischer Fall betrifft einen Müllmann, dessen Gehirn gehackt wurde und der glaubt, seine Frau wolle sich von ihm scheiden lassen und die gemeinsame Tochter mitnehmen (Shirow, S. 94). Diese simulierten Erfahrungen sind im Hirn des Müllmanns real und nicht von echten Erinnerungen zu unterscheiden, gleichzeitig aber auch eine Illusion weil sie künstlich sind und die mit den Erfahrungen zusammenhängenden Ereignisse nicht stattgefunden haben, beziehungsweise nicht für diese Person stattgefunden haben, denn es können auch die Erinnerungen eines anderen sein, die eingegeben wurden (Shirow, S. 94). Dadurch entsteht für das Erinnerungsich ein völlig neues Problem. Wenn unser Selbstkonzept und die Kontingenz dessen, was wir von uns denken durch falsche Erinnerungen beeinflusst werden kann, dann denke ich von mir selbst Dinge, die objektiv nicht stattgefunden haben. Dadurch entsteht ein unweigerlicher Spannungszustand zwischen dem Erinnerungsich und den anderen Ich-Aspekten. Denn das was ich glaube geleistet zu haben, habe ich vielleicht gar nicht geleistet oder ich erinnere mich nicht mehr an Leistungen, die ich erbracht habe. Die Rollen und Funktionen, die ich erfüllen müsste, kann ich nicht mehr erfüllen, weil mir die dazu nötigen Verbindungen fehlen. Ich weiß nicht mehr wer die Menschen sind zu denen ich in Bezug stehe oder vielleicht gibt es die Menschen, von denen ich glaube mit ihnen in Bezug zu stehen gar nicht, wie im Falle des Müllmanns. Vielleicht ist der Körper in dem ich mich gerade befinde gar nicht mein echter Körper (12). Vielleicht wurde mein Gehirn geraubt und in einen anderen Körper transplantiert und mein ursprünglicher Körper wurde zerstört oder ist verlorengegangen. Der erste Blick in den Spiegel durch die Augen eines neuen Körpers würde zwangsläufig zu einer existenziellen Krise führen, weil das äußere Erscheinungsbild nicht mehr kompatibel mit dem ist, wie ich glaube auszusehen. Die Kontinuität meiner Selbst wird durch falsche Erinnerungen stark beschädigt, wenn nicht sogar zerstört. Das ist vielleicht der „Wahn“ von dem Jaspers in dem eingangs erwähnten Zitat spricht. Dieser Wahn als Diskontinuität meines Selbst im Hinblick auf alle vier Ich-Aspekte zerstört das Ich endgültig.

Das Ich ist bei Jaspers kein materielles Ding. Es ist nicht etwas, dass sich durch die Ich-Aspekte

manifestiert, sondern ein metaphysisches Ergebnis aus der Summe seiner Teile und darüber hinaus eigenständig. Das Ich als ontologisches Sein. Die Ich-Aspekte bilden das Ich, aber sie sind es nicht. Und das ist eben das Wichtige. Ohne einen Körper, den Umgang mit anderen Menschen, die Leistung die man erbringt und die Erinnerung, die man über sich hat, ist man bloße Möglichkeit. In den Ich-Aspekten wird das Ich erst konstituiert. Es tritt dadurch in die Welt ohne weltlich zu werden. Der Entwurf des Selbst und des Ich, der durch die Ich-Aspekte gemacht wird ist deshalb auch von den einzelnen Aspekten gelöst. Wird der Körper zerstört und durch einen neuen ersetzt, verändert sich nicht die Erinnerung an das frühere Leben. Man bleibt sich selbst kohärent über die Zeit hinweg enthalten. Wer ich einmal war ist gewiss. Was ich einmal werde nicht. Das Ich ist auch individuell. Nur ich bin ich und niemand sonst. Das ist es, was den Menschen von der Maschine unterscheidet. Die Fuchikoma aus „The Ghost In The Shell“ sind eine Gruppe von Robotern, die als mobile Waffenplattformen genutzt werden und eine künstliche Intelligenz besitzen. Sie machen im Laufe eines Tages alle individuelle Erfahrungen, aber wenn sie am Ende des Tages alle miteinander synchronisiert werden, verschwinden jegliche Unterschiede zwischen ihnen und sie teilen alle die gleichen Erfahrungen, das gleiche Wissen und die gleichen Erinnerungen (Shirow, S. 95). Sie haben zwar unterschiedliche Körper, aber in allen anderen Ich-Aspekten sind sie absolut gleich. Letzten Endes wird das Ich der Fuchikoma in diesem Sinne von verschiedenen Körpern „benutzt“, während sie alle die gleiche soziale Rolle und Funktion erfüllen, sich in ihrer Leistung nur durch die Art ihrer Bewaffnung unterscheiden und alle die selben Erinnerungen teilen. Wenn sie von anderen Charakteren angesprochen werden geschieht dies auch stets ohne Pronomen (13) (Shirow, S. 97). Trotzdem weiß jede Einheit ob sie angesprochen wurde oder nicht. Das Ich der Fuchikoma ist ein anderes als das Ich, das wir für uns Menschen veranschlagen. Unser Ich ist individuell. Und durch unseren Körper ist es mehr oder weniger stationär. Es ist mit unserem Körper verbunden. Es kann sich nicht auf mehrere Körper aufteilen, wie bei den Fuchikoma. Zumindest noch nicht. Was passiert also mit unserem Konzept von Ich und Selbst, wenn es möglich werden könnte, ein Ich auf mehrere Körper zu übertragen oder identische Kopien des gleichen Ich an mehreren Orten digital zu speichern? Wird das Ich dadurch erweitert? Angenommen ich würde sowohl am philosophischen Institut in Bochum, als auch an einem weit entfernten Ort, nehmen wir Washington, arbeiten. Aber weil ich Flugangst habe und die Technologien so weit fortgeschritten sind, ist es gar nicht nötig, dass ich dort hinfliege. Jeden Morgen teile ich mein Bewusstsein auf, sodass eine Version in Washington, eine in Bochum arbeiten kann (14). Am Abend werden sie dann wieder synchronisiert, sodass ich stets die Erinnerungen beider Versionen in mir trage. Dementsprechend würde sich mein Ich einfach um diese Möglichkeit erweitern. Selbst wenn alle meine Kollegen davon wissen würden. Dann wäre diese Fähigkeit einfach ein Teil meines sozialen Ich, das mein Leistungsich und mein Erinnerungsich beeinflusst. Mein Bewusstsein ist immerhin auch nicht identisch mit meinem Ich. Mein Ich ist ein Konzept aus all den Dingen zu denen ich fähig bin, wie man mich sieht und an die ich mich erinnere, verbildlicht durch meinen Körper, als Substrat meiner Selbst. Dann haben die Fuchikoma auch ein Ich. Eines, das sich auf mehrere Körper aufteilt, aber das Konzept des Ich existiert in ihnen. Ein Ich mit mehr als einem Bewusstsein (15). Das Ich ist nicht identisch mit Bewusstsein. Das was ich bin als Sosein ist mein Charakter und diesen erfahre ich in meinem Tun (Jaspers, S. 33). Ich werde wirklich, in dem sich die Ich-Aspekte erfüllen (Jaspers, S. 34). Gleichzeitig ist dieses Selbst mehr als alles, was ich oder jemand anders von mir wissen kann, weil dieses Bild von mir niemals vollständig ist (Jaspers, S. 34). Es kann niemals in seiner Gänze erfasst oder gewusst werden. Deswegen ist es auch nicht in seiner Gänze von den Ich-Aspekten abhängig. Diese bilden das Ich, aber sie sind es nicht. Und damit haben wir genug Grundlage geschaffen um der Beantwortung der Frage dieses Essays ein Stück näher zu kommen.

Wie viel meines Körper darf ich verlieren oder austauschen, bis ich aufhöre ich selbst zu sein?

Wir haben den Körper als das Substrat betrachtet, dass es uns ermöglicht mit der physischen Welt in Kontakt zu treten und sie zu manipulieren. Durch unseren Körper finden wir uns selbst in unserem Sein als Sosein wieder. Er ermöglicht uns die Kontaktaufnahme mit anderen Menschen und wer wir sind wird für sie direkt mit unserem Äußeren in Verbindung gebracht. Aber wer wir für diese Menschen sind besteht auch noch über den Tod, also den Niedergang des Körpers fort. Unser soziales Ich und unser Leistungsich sind damit unsterblich. Das was wir leisten vergeht nicht mit unserem Tod, ihm wird lediglich nichts Neues hinzugefügt. Unser Erinnerungsich hingegen stirbt mit unserem Körper. Wird es manipuliert oder gelöscht vergeht damit unsere persönliche Erinnerung an alle anderen Ich-Aspekte. Wenn wir nicht mehr wissen wer wir sind, wer wir waren und wen wir lieben, dann ist unser Ich über die Zeit nicht mehr kontingent. Das ist in diesem Zusammenhang, was ich in Jaspers' Zitat als Wahn und Sinnestäuschung verstehe. Entweder der Tod oder die Veränderung dessen, an was wir uns Erinnern. Auch Krankheiten können zu diesen Umständen führen. Nicht selten sagen die Angehörigen von Alzheimerpatienten, derjenige seie gar nicht mehr wie der Mensch den sie einst kannten.

Unser Körperich muss mit unserem Erinnerungsich in Einklang stehen. Wenn wir uns nicht erinnern können wie wir aussehen, wissen wir auch nicht wie uns die anderen Menschen sehen über der Reflexion wir ein Bild unserer Selbst erzeugen. Im Rahmen des technischen Fortschritts wäre eine graduelle Veränderung durch Prothesen mit dieser Bedingung vereinbar (solange wir dem bewusst zustimmen). Und es scheint auch, dass es irgendwann nicht einmal mehr eines Körpers benötigt. Denn alle anderen Ich-Aspekte könnten irgendwann erfüllt werden ohne einen Körper zu besitzen, wenn das Netz zu einer Erfahrung wird, die auf allen Bewusstseinsebenen stattfindet. Ich bin nicht mein Körper, aber mein Geist und meine Erinnerungen gehören nur mir. Daraus konstituiert sich das Verständnis dessen was ich bin. Wir sind es gewohnt einen Körper zu haben, deswegen denken wir vielleicht auch, dass er notwendig ist. Wenn ich an Putnams „Brain in a Vat“ denke ist unser Körper vielleicht auch die Versicherung dafür, dass unser Erleben ein „echtes“ Erleben ist. Was unser Körper erleidet, was ihn trifft, das trifft auch mich. Ich kann mir also sicher sein, dass die Erinnerung an den Schmerz den ich bei einer Trennung erlitten habe oder als ich auf die heiße Herdplatte gefasst habe echt ist, weil er körperlich erfahrbar war. Körper und Erinnerung sind sterblich, das soziale Ich und das Leistungsich sind unsterblich. Entferne ich den Körper als Aspekt aus dem Ich, fragt sich, wie wichtig der Teil war, der mir verloren geht. Ob ich dann immer noch als Lebensform gelte oder nicht ist eine Frage über die man sich in Zukunft Gedanken machen werden muss. Ein kleiner gedanklicher Hinweis sei mir an dieser Stelle aber gegönnt. Wenn Leben das Gegenteil von Tod ist und Tod das Gegenteil von Leben, dann ist das Leben an einen Körper gebunden, denn ein Geist in der Maschine kann nicht (zwangsläufig) sterben. Ihm fehlt also eine grundlegende Eigenschaft des Lebens, nämlich die, dass dieses irgendwann endet. Auch der Puppet Master ist sich dieses Umstandes bewusst und will mit Kusanagi verschmelzen um zu einer vollkommenen Lebensform zu werden (Shirow, S. 339-340). Der Tod ist zwar eine individuelle Katastrophe, aber eine für die Art wichtige Regulierungsmaßnahme, weil er unerwünschte Mutationen auslöscht und erwünschte durch Weitergabe mittels Fortpflanzung weiter bestehen lässt. Unsterblichkeit durch ständige Wiederherstellung des Körpers oder Digitalisierung des Bewusstseins/Geistes/Seele führt zwangsläufig zum Untergang unserer Art. Es ist natürlich erstrebenswert das Leben für Menschen angenehmer und leichter zu machen. Ich würde mir sehr wünschen eine künstliche Pankreas zu haben, um meinen Diabetes loszuwerden. Das würde aber nichts daran ändern, dass ich eines Tages trotzdem sterben müsste. Meine Narben, Krankheiten und Wunden, ob seelisch oder körperlich sind Teil meines Ich. Eine künstliche Pankreas würde ebenso zu einem Teil meines Ich werden. Darin sehe ich kein Problem. Sie wird zum Teil meiner Ich- Aspekte. Damit würde ich die Frage, wie viele Körperteile ich auswechseln kann, bis ich nicht mehr ich selbst bin so beantworten:

Ich bin nicht mehr ich selbst – die Grundessenz meines Seins verändert sich – wenn ich durch das Auswechseln von Körperteilen unsterblich werde. Denn die Vergänglichkeit meines Körpers und meiner Erinnerungen sind nunmal entscheidend für das was ich bin. Ein Mensch. Mein Ich, mein Sein gehört zur Kategorie Mensch. Menschen sind per definitionem sterblich. Das gehört zur

conditio humana genauso wie die Fähigkeit, die eigene Existenz immer wieder neu einzuordnen, zu reflektieren und zu erweitern. Ich wäre weiterhin ich, wenn mein Körper zur Unsterblichkeit verändert wäre, aber ich wäre nicht mehr ich selbst. Denn das was mein Selbst ursprünglich ausgemacht hat, ist die Tatsache sterblich zu sein. So bitter diese Erkenntnis auch sein mag: Unsterblichkeit dient niemandem ausser der Befriedigung meiner niedersten Bedürfnisse. Zu sterben ist das was uns als Spezies zu dem gemacht hat was wir sind.

 

Fußnoten

1  https://www.tk.de/techniker/magazin/spitzenmedizin/bewegungsapparat/myoelektrische-armprothese-2010660, abgerufen am 01.03.2019

2  https://de.wikipedia.org/wiki/Tiefe_Hirnstimulation, abgerufen am 01.03.2019 https://de.wikipedia.org/wiki/Herzschrittmacher, abgerufen am 01.03.2019

3  https://www.planet-wissen.de/natur/anatomie_des_menschen/herz/pwiedaskunstherz100.html, abgerufen am 01.03.2019

4 Dass das was uns Shirow präsentiert gar nicht so weit hergeholt ist, wie es zunächst scheint, zeigt uns Max Tegmark in seinem Buch „Leben 3.0 – Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz“, Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH, 2017

5 Eine Szene die diesen Konflikt besonders eindringlich macht war in der ursprünglichen (deutschen) Fassung des Mangas nicht enthalten und wurde für die Neuauflage wieder eingefügt. Major Kusanagi ist aufgrund ihres speziell gefertigten Cyberkörpers nicht nur eine hervorragende Soldatin, sondern nutzt ihre Cyberbrainkapazitäten auch für sogenannten Cybersex, bei dem sich mehrere Beteiligte eine simulierte Erfahrung teilen, die von Kusanagi „gehostet“ wird und bei der sexuelle Begegnungen in dieser simulierten Erfahrung mit dem Teilen von körperlichen Empfindungen einhergeht.

6  Diese Darstellung ist natürlich etwas vereinfacht und wird der Komplexität des Internets auch nicht vollständig gerecht, aber um meinen Punkt klarzumachen reicht sie an dieser Stelle vollkommen aus.

7  Das ist schon krasse Science-Fiction, aber wir wollen hier ja die Grenzen des Menschlichen ausloten und daher finde ich diesen Gedanken nicht unwichtig. Denken wir an Puttnams „Brain in a Vat“ sehen wir, dass solche Ideen für die philosophische Debatte gar nicht unwichtig sind.

8  Ein schöner Gedanke, wie Menschen, die sich nicht kennen über die Zeit hinweg miteinander in Verbindung treten ohne jemals davon zu erfahren.

9  Wobei man ja auch mal darüber diskutieren könnte, ob es überhaupt möglich ist gar nichts zu leisten. Selbst jemand, der schwerstbehindert im Rollstuhl sitzt und für alle Aktivitäten des täglichen Lebens Hilfe braucht und auf Pflege angewiesen ist, kann ja trotzdem etwas leisten. Das ist eine Diskussion die jetzt zu weit führt, aber der Gedanke allein zeigt auf, dass wir schnell Probleme bekommen, wenn wir den Wert der menschlichen Existenz an dem bemessen, was jemand fähig ist zu leisten.

10  Das wird Thomas Nagel gar nicht gefallen.

11 Karl R. Popper hat so was ähnliches gesagt.

12 „Echt“ ist im Rahmen dieses Essays als Adjektiv für Körper natürlich ziemlich diskussionswürdig. Mit „echt“ meine ich

hier den Körper, mit dem man geboren wurde, bzw. mit dem man sein aktuelles Sein in Verbindung bringt.

13  Das wird in den Animeumsetzungen der Nachfolgeserie „Stand Alone Komplex“ auch so gemacht, deshalb gehe ich nicht davon aus, dass es sich hierbei um eine Eigenart der deutschen Übersetzung handelt, zumal diese auch über die Jahre hinweg mehrfach aktualisiert wurde.

14  Natürlich ist es nicht an beiden Orten gleichzeitig Morgen, aber der Einfachheit halber übersehen wir dieses kleine Detail hier mal.

15  Wenn der Punkt gekommen ist, an dem man in seinem Essay nach dem Plural von „Bewusstsein“ sucht, ist man entweder zu weit gegangen oder hat alles richtig gemacht.

 

Literatur

Jaspers, Karl (1994). Philosophie II. Existenzerhellung. München: Piper Verlag GmbH

 

Shirow, Masamune (2017). The Ghost In The Shell. (5. Auflage 2017) Berlin: Egmont Verlagsgesellschaften mbH