Die Verzeitlichung der Natur

(ursprünglich vom 12.03.2018)

 

01. Einleitung

In diesem Essay möchte ich zeigen, wie der Wandel von einer Naturgeschichte zu einer Geschichte der Natur in den Nachklängen der französischen Revolution und dem Beginn der Aufklärung die Grundsteine für ein neues Verständnis der Konzeption der Zusammenhänge der verschiedenen Organismen gelegt haben. Während die Naturgeschichte die verschiedenen Arten noch als statische Einheiten, von Gott geschaffen und unveränderlich in die Welt geworfen, sieht und damit ausschließt, dass sich Arten im Laufe der Zeit weiterentwickeln, spezialisieren und aussterben können, setzt die Geschichte der Natur ihren Fokus eben auf genau diese Entwicklungsmöglichkeiten und kann somit als fortschrittsorientierte Naturauffassung interpretiert werden. Diese neue Auffassung bereitete damit auch den Weg, den Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie in „On the Origin of Species“ zu einer Vollendung brachte und somit einen wichtigen Paradigmenwechsel der Wissenschaftsgeschichte schaffte.

Dazu werde ich zunächst anhand der Thesen von Wolf Lepenies in „Das Ende der Naturgeschichte“ den Wandel der kulturellen Selbstverständlichkeit in den Wissenschaften im 18. und 19. Jahrhundert darstellen und mich dabei auf jene Passagen konzentrieren, die für die Rezeption und den Erfolg von Darwins Werk entscheidend waren. Damit einher ging nämlich auch eine Art Abkehr vom biblischen, beziehungsweise mystisch geprägten Schöpfungsmythos, bei dem eine vernunftbegabte, planende Entität alles Leben zu einem je spezifischen Zweck auf die Welt gebracht hat und damit ein Angriff gegen klerikale Autoritäten und das allgemeine Weltbild jener Zeit. Auch die Entstehung der Welt und ihre Einordnung in einen chronologischen Lauf der Dinge konnte so mit wissenschaftlichen Thesen analysiert werden, welche die Geschichtsschreibung bis dahin nicht kannte.

Im zweiten Schritt folgt dann eine Zusammenfassung der Entstehung von Darwins Evolutionstheorie mit Schwerpunkt auf jene Aspekte, die im vorhergegangenen Teil bereits erarbeitet wurden. So soll weniger Wert darauf gelegt werden, wie Darwin seine Theorie aus biografischer Perspektive entwickelt hat, sondern mehr welche Implikationen inhaltlicher Art daraus entstanden sind und wie der Wandel von einer Naturgeschichte zu einer Geschichte der Natur es möglich gemacht hat,

Darwins Theorie überhaupt entstehen zu lassen. Dabei stütze ich mich auf die Ausführungen von Thomas Junker und Uwe Hoßfeld aus ihrem Buch „Die Entdeckung der Evolution.“

 

02. Von der Naturgeschichte zur Geschichte der Natur

Der entscheidende Schritt des Wandels einer Naturgeschichte zu einer Geschichte der Natur ist der Übergang in die Moderne. Der Beginn dieses Paradigmenwechsels ist allerdings schwer festzulegen, weil sich der Beginn der Moderne selbst einer klaren Datierung entzieht. Allgemein gilt die Aufklärung als Grenzpunkt dieser Chronologie, allerdings ist auch diese nicht eindeutig bestimmbar. Den Anfang des 18. Jahrhunderts als kalendarischen Kalenderwechsel in Betracht zu ziehen, entzieht sich der Definition der Aufklärung. So kann deren Beginn entweder in den Jahren 1688 mit Fontanelles Digression oder der Entretiens sur la pluralité des mondes von 1686 eingeordnet werden, oder später mit Beginn der Régence 1715 oder der philosophischen Verankerung des geschichtlichen Zeitbegriffs bei Cartaud de la Villate und Ladvocat (Lepenies 1976, S. 10). Die moderne Geschichtsauffassung wurde aber auch schon von Scaligers De emendatione temporum im Jahr 1583 geprägt und gilt als Beginn der wissenschaftlichen Chronologie (Lepenies 1976, S. 11). Diese Loslösung von der mosaischen Chronologie gestaltete sich vor allem deswegen als schwierig, weil sie den Anfang der Welt an sich unterwanderte und damit gegen die allgemeine Vorstellung des christlichen Schöpfungsmythos stand (Lepenies 1976, S. 11). Zur Lösung des Problems nahmen Persönlichkeiten wie Vossius (1641) und Marsham (1672) an, dass historische Dynastien, vor allem im alten Ägypten, nicht nacheinander, sondern gleichzeitig an mehreren Orten stattgefunden haben und ermöglichten so eine Sicherung der mosaischen Chronologie für den Geschichtsverlauf seit der Weltschöpfung, was letztlich zu einer Übersetzung zeitlicher Prozesse in räumliche Konstellationen führte, aber das Problem der historischen Auffassung von Geschichte nicht löste und somit von Kant dann die Titulierung einer Mystik erhielt (Lepenies 1976, S. 12). Fischer (1801) hielt es für sinnvoller die chronologische Ordnung mit jener der Wissenschaft zu verbinden (Lepenies 1976, S. 13). Wenn auch die Durchsetzung einer antinaturalen Zeitvorstellung im Laufe des 18. Jahrhunderts sehr umkämpft ist, verschwindet die naturale Zeitvorstellung im Übergang zur Moderne (Lepenies 1976, S. 13). Während der französischen Revolution kam es dann mehrmals zu Versuchen, die Zeitauffassung zu Renaturalisieren, die aber allesamt scheiterten, wohl auch, weil sie häufig ideologischen Ursprungs waren (Lepenies 1976, S. 13-14).

In der Wissenschaft kann der Niedergang der Chronologie, hin zu einer entwicklungsgeschichtlichen Denkweise, ebenfalls als Übergang zur Moderne verstanden werden. Durch Foucault wurde er auf den Zeitraum zwischen 1775 bis 1825 datiert und im 19. Jahrhundert scheint sich die historische Betrachtungsweise in den Wissenschaften endgültig durchzusetzen (Lepenies 1976, S. 14). Durch den Erfahrungsdruck und den Empirisierungszwang im 18. Jahrhundert beschleunigt sich ausserdem die Erweiterung quantitativer Messmethoden und die bisherigen informationsverarbeitenden Techniken geraten zunehmend an die Grenzen ihrer Kapazität und es folgt eine Emanzipation des wissenschaftlichen Textes (Lepenies 1976, S. 16-17). Collingwood konstatiert einen Weg von der Natur zur Geschichte und aus der Naturgeschichte stammende Klassifikationssysteme, die bis dahin räumlich konzipiert waren, werden aufgegeben (Lepenies 1976, S. 18). Die Natur selbst habe zwar keine Geschichte, so Daubenton, die Wissenschaft von der Natur allerdings schon und so werden neue Entdeckungen zusehends nicht nur nach ihrem Auftreten, sondern nach ihrem Entdecken eingeordnet um der gewaltigen Menge neuer Entdeckungen Herr zu werden (Lepenies 1976, S. 19). Hierbei zeigt sich, wie Wissenschaft nun zusehends selbst Teil der Geschichte wird und diese nicht nur zu beschreiben versucht. Techniken der Verzeitlichung bieten einen Durchblick durch die wachsende Komplexität der verschiedenen Bereiche wie Politik, Kultur und Wissenschaft und verallgemeinern die Zeitvorstellung und bilden damit die Grundlage genereller Evolutionstheorien, wie der von Charles Darwin (Lepenies 1976, S. 19). Aber auch die Verzeitlichung selbst unterliegt keinem geradlinigen Entwicklungsprozess, sondern wird immer wieder neuen Versuchen, diese rückgängig zu machen, entgegengestellt (Lepenies 1976, S. 20). „Das entscheidende Mittel zur Bewältigung des immer stärker sich beschleunigenden Wissenszuwachses kann als Verzeitlichung beschrieben werden (...)“ (Lepenies 1976, S. 24). Die Entwicklung geht vom räumlichen Nebeneinander zum zeitlichen Nacheinander (Lepenies 1976, S. 24). In der Philosophie wird dadurch der Fortschritt sichtbarer und verständlicher (Lepenies 1976, S. 26). Generell kann man sagen, dass die Tendenz zur Verzeitlichung und chronologischen Betrachtungsweise der Wissenschaften eine entwicklungsgeschichtlichere Lesart der einzelnen Disziplinen zulässt. Der Wandel in den Theorien und neue Entdeckungen lassen sich mit dem vorherigen Kenntnisstand abgleichen. Auf diese Weise führen neue Erkenntnisse nicht immer zu einem harten Paradigmenwechsel, was sich historisch gesehen schwieriger gestaltet, sondern zu einem graduellen Wissenszuwachs, der den Stand der Forschung breiter und vielseitiger macht. „Die neue Geschichte ist nicht mehr Tableau, sondern fortlaufende Erzählung“ (Lepenies 1976, S. 26). Geschichte wird, nach Jauss, nicht mehr als periodisch, sondern als in die Unendlichkeit fortlaufend betrachtet (Lepenies 1976, S. 27).

„Die Darstellung der Naturdinge soll weniger deren inneren Zusammenhang widerspiegeln als uns deren Rekapitulation erleichtern“ (Lepenies 1976, S. 36). Die Naturgeschichte dient somit mehr als Technik der Beschreibung (Lepenies 1976, S. 36). Doch der Begriff der „Naturgeschichte“ bleibt zunächst noch unscharf und ist nur schwer von einer „Geschichte der Natur“ abzugrenzen. Es ist Kant, der Naturgeschichte als den Verlauf der Veränderungen eines natürlichen Körpers definiert (Lepenies 1976, S.37) und alsdann mit „Geschichte der Natur“ die Entwicklung der Natur als Ganzes verstanden wird. Vereinfacht gesagt beschäftigt sich die Naturgeschichte mit ihren verschiedenen Disziplinen – Biologie, Zoologie usw. - mit der Entwicklung der Arten in sich selbst mit vorhandenen Mittelgliedern, aber keinen evolutionstheoretischen prozesshaften Gedanken. Damit ist ein periodisches Entwickeln gemeint und ist damit unhistorisch. Arten werden geschaffen und verweilen auf der Erde, bis sie durch andere Arten ersetzt werden, wenn dies überhaupt geschieht. Sie gehen nicht auseinander hervor. Die Geschichte der Natur hingegen ordnet die Phänomene und deren auftreten chronologisch ein. So betrachten beide Herangehensweisen unterschiedliche

Aspekte einer temporalen Vorstellung. Aber die Naturgeschichte muss sich als Universalnaturgeschichte verstehen und ihre episodenhaften Betrachtungen in einen größeren historischen Kontext einbinden um ihrem wissenschaftlichen Geltungsanspruch gerecht zu werden (Lepenies 1976, S. 38). Naturgeschichte ist also Auszug aus der Geschichte mit einem naturwissenschaftlichen Schwerpunkt. Sie lässt in ihrer Systematik aber nicht zu, dass neue Wesen entstehen können, denn Gott hat alle Arten auf der Erde platziert, wo sie sich nach und nach ausbilden, wodurch davon ausgegangen wird, dass alle Wesen, wie sie zu einem Zeitpunkt auf der Erde vorhanden waren, immer schon auf der Erde waren (Lepenies 1976, S. 41). Diese Vorstellung hält sich bis ins letzte Viertel des 18. Jahrhunderts (Lepenies 1976, S. 41). Ab dem 19. Jahrhundert kann die Sicht der Verkettung durch den enormen Wissenszuwachs der Sicht der Verzeitlichung nicht mehr standhalten, getragen auch durch den Empiriezwang und der Entwicklung der Paläontologie, die der neuen Konzeption durch ihre Entdeckungen stichhaltigen Boden verleiht (Lepenies 1976, S. 42). Weil sich diese Erkenntnisse mit dem Schöpfungsmythos nicht mehr in Einklang bringen lassen, verliert auch die mosaische Chronologie ihre Bedeutung (Lepenies 1976, S.43). Es muss eingestanden werden, dass die Verzeitlichung der Natur auch zu einer Abkehr des Bildes einer Kette der Arten, hin zu einer Leiter mit unendlichen Stufen führt (Lepenies 1976, S. 44-45). Die Entwicklung von einer Naturgeschichte zu einer Geschichte der Natur, zeigt sich besonders deutlich in Botanik und Zoologie und erfährt auch hier ihre härtesten Widerstände (Lepenies 1976, S. 50-51).

Nach Comte dient die Taxonomie der biologischen Klassifikationsverfahren dazu, die Fülle der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, auf ein überschaubares Maß zu reduzieren, indem Arten einem gemeinsamen Ursprung oder Gattung zugeordnet werden können (Lepenies 1976, S. 52). Diese Sichtweise war aber mit der Grundidee der bis hierhin herrschenden Naturgeschichte unvereinbar. Gleichzeitig verhinderte sie neue Erkenntnisse zu konstituieren. Dass Mensch und Affe gleiche Vorfahren haben, hat epistemisch mehr Gehalt, als einfach nur zu sagen, sie seien zur gleichen Zeit auf dem selben Planeten vorzufinden. Die Geschichte der Natur ist also – im Gegensatz zur Naturgeschichte – eine fortschrittliche, auf Erkenntnisgewinn ausgerichtete Sichtweise. Naturgeschichtliche Sichtweisen betrachteten sich selbst als rein beschreibend und nicht interpretierend – ein Vorwurf der an die Geschichte der Natur gerichtet ist – weil eben die Interpretation der Natur gegenüber als schändlich zu sehen sei und es anmaßend ist, die Katze dem Löwen gleichzustellen (Lepenies 1976, S. 58).

Die Krise der Naturgeschichte zeigte sich am stärksten durch den wachsenden Erfahrungsdruck, dem mit Systemerweiterungen begegnet werden sollte, was aber den systematischen Charakter der Naturgeschichte instabil machte und somit zu einer Rückführung zur Chronik neigte, die gleichsam im Fortschritt zur Geschichte der Natur angelegt war (Lepenies 1976, S. 63).

Auch die Entdeckung von Zwischenarten und Kreuzungen – vor allem in der Botanik - , stellte die WissenschaftlerInnen vor ein Rätsel, da nicht klar war, wie damit umzugehen ist. Sind sie Monstren, müssen sie als eigenständige Arten anerkannt werden und wenn ja, in welche Spezies solle man sie kategorisieren und wie entgeht man der Chronizität bei solch einer Einteilung; gibt es ein natürliches System dieser Arten oder ist deren Erfassung und Einteilung einem rein menschlichen Muster unterworfen, dass in der eigentlichen Natur keine Entsprechung hat (Lepenies 1976, S. 64)? Weil die Naturgeschichte von einer Unveränderlichkeit der Arten ausgeht, müssen Zwischenarten und Kreuzungen Abnormitäten und Monstren sein, die als degenerativ betrachtet und damit abgewertet werden (Lepenies 1976, S. 65). Die Funde müssen sich der Systematik anpassen und nicht umgekehrt (Lepenies 1976, S. 65). Erfahrungsdruck und Empiriezwang führen hier also dazu, dass die Forschenden anhand ihres Kenntnisstandes eine Systematik entwickeln, von der sie glauben, dass dies die Natur getreu widerspiegeln würde und was sich nicht in das System einordnen lässt, muss demnach abnorm sein. Im Übergang zum Transformationismus kommen dann auch solche Gedanken auf, wie, dass die Entwicklung verschiedener Spezies eine Art Kreislauf ist und die Zwischenarten letztlich nur Abwandlungen bereits bekannter Arten sind, zu denen sie früher oder später wieder zurückkehren werden, weil sie in ihrem Zustand nicht von Dauer sein können (Lepenies 1976, S. 69). Ein wichtiger Kerngedanken, der dann später auch den Grundstein für Darwins Evolutionstheorie legte, war die Vorstellung, dass die Zeit für die Natur um Spezies zu entwickeln und auszuformen grenzenlos ist; mit einem klaren Anfangspunkt aber ohne absehbares Ende (Lepenies 1976, S. 71). „Heute gilt die moderne Taxonomie übereinstimmend als evolutionär orientiert“ (Lepenies 1976, S. 71). Noch Buffon bezeichnet solche Arten als edel, die in seinem Sinne konstant sind und nicht Gefahr laufen zu entarten (Lepenies 1976, S. 72). Hier zeigt sich klar, wie die Naturgeschichte noch stark von einer menschlichen Bewertung der Natur ausgegangen ist. Aber Buffon widerspricht sich auch, wenn er sagt, die Natur stünde ausserhalb der Zeit und es gilt die Entwicklung der Arten zu betrachten, um zu verstehen, wie sich die Natur entwickelt hat und wie sich noch entwickeln wird (Lepenies 1976, S. 72). Es ist Lamarck, der seit dem 19. Jahrhundert als Zoologe gilt, der mit seiner Arbeit den endgültigen Scheitelpunkt zwischen Naturgeschichte und der Geschichte der Natur markiert, sind seine Arbeiten doch für Linné und Buffon ausschlaggebend und versucht er auch die verschiedenen neuen und alten Klassifikationssysteme in Einklang zu bringen (Lepenies 1976, S. 76). Und das hat weitereichende Auswirkung, zum Beispiel auch auf die Ethnologie, die sich nun eingestehen muss, dass jene Menschen, die zu dieser Zeit noch als Wilde oder Abarten bezeichnet werden, mit dem modernen zivilisierten Menschen nicht nur artverwandt, sondern sogar direkt blutsverwandt sind (Lepenies 1976, S.76). „Was an den Gesellschaften der Primitiven früher als Absurditäten aufgefaßt wurde, wird jetzt zu den Überbleibseln einer früheren Entwicklungsstufe“ (Lepenies 1976, S. 77).

 

03. Wie Darwin die Evolution entdeckte

Mit Lamarck begann die Entwicklung von Theorien, welche die Entstehung von Arten durch allmählichen Wandel zu erklären versuchten, statt diese, wie bisher, als statische, von Gott geschaffene Einheiten zu begreifen, auch wenn diese von Zeitgenossen zunächst noch als reine Möglichkeiten, denn als ernstzunehmende Theorien begriffen wurden (Junker, Hoßfeld 2001, S. 75). Darwin war es dann, der es schaffte den Schöpfungsglauben mit statischen Arten, die entstehen und wieder aussterben endgültig bei Seite zu schieben (Junker, Hoßfeld 2001, S. 75). Teleologische und theologische Erklärungen wurden überflüssig, weil Darwin zeigen konnte, dass ungerichtete zufällige Variationen und natürliche Auslese, statt eines von außen gesetzten Zweckes, zur Entwicklung biologischer Organismen führte (Junker, Hoßfeld 2001, S. 75). „Innerhalb weniger Jahre wurde die Idee der Evolution von einer Phantasie zu einer wissenschaftlichen Tatsache, die nur noch von wenigen Biologen bestritten wurde“ (Junker, Hoßfeld 2001, S. 75).

Darwin selbst wurde durch seinen Lehrer Robert Grant an der Universität Edinburgh mit den Theorien von Lamarck vertraut gemacht (Junker, Hoßfeld 2001, S. 77). Später ging er nach Cambridge und studierte dort Theologie, weil er den zunächst gefassten Plan Arzt zu werden aufgab und beschäftigte sich dort mit der Naturtheologie von William Paley, dessen Gottesbeweis er durchaus überzeugend fand (Junker, Hoßfeld 2001, S. 77). Was Darwins Werk jedoch entscheidend beeinflusste, war die Reise mit dem Forschungsschiff Beagle, bei der er auf seine jahrelangen Erfahrungen im Sammeln von Exemplaren und seine ausschweifenden Diskussionen über Geologie und Botanik zurückgreifen konnte (Junker, Hoßfeld 2001, S. 77). Während es das Ziel der Beagle war, die Küsten von Südamerika zu vermessen und zu kartografieren, sammelte Darwin bei den zahlreichen Landgängen diverse lebende und fossile Organismen, machte geologische Beobachtungen und las in Lyells „Principles of Geology“ (Junker, Hoßfeld 2001, S. 78). Doch Lyell versuchte Lamarcks Evolutionstheorie zu widerlegen und mit dessen alternativen Erklärungen war Darwin nicht einverstanden (Junker, Hoßfeld 2001, S. 78). Die große Menge an Beobachtungen und Erfahrungen machte Darwin nach der Rückkehr der Beagle zu einem der bedeutensten Naturforscher Englands und er verbrachte die nächsten Jahre mit deren Ausarbeitung (Junker, Hoßfeld 2001, S. 78). Nachdem Darwin dem vergleichenden Anatom Richard Owen seine Funde gezeigt hatte, kam dieser zu der Erkenntnis, dass die von Darwin in Südamerika gefunden Arten eng mit den dort gefunden Fossilien verwandt waren, ebenso, wie die Vogelarten der verschiedenen Galápagosinseln unterschiedlichen Arten angehörten und keine örtlichen Varietäten waren, wie Darwin ursprünglich angenommen hatte, war Darwin dann im Frühjahr 1837 endgültig davon überzeugt, dass Arten gemeinsame Vorfahren haben konnten und Organismen auf eine gemeinsame Abstammungsgeschichte zurückblickten (Junker, Hoßfeld 2001, S. 79). Weiterhin wurde Darwin stark von Robert Malthus beeinflusst, von dem er den Gedanken übernahm, dass Arten sich stärker vermehren als die von ihnen bevorzugten Nahrungsmittel und es daher zu einem Kampf um Ressourcen kommen müsse und dies zu einer Auslese führe, bei der kranke und schwache Individuen nach und nach von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden, was aber zu einer Vorstellung führt, dass sich Arten stabilisieren und sich nicht verändern, weil abweichende Merkmale nicht weiter vererbt werden (Junker, Hoßfeld 2001, S. 80). Darwin kam aber zu dem Schluss, dass der Kampf ums Dasein nicht statisch sein konnte, denn der Reproduktionserfolg einzelner Individuen „(...) kann nur unter der Voraussetzung, dass es sich um genetisch unterschiedliche Individuen handelt, zur Veränderung einer Art führen“ (Junker, Hoßfeld 2001, S.

81). Die Chance zu überleben hängt also auch von genetischen Unterschieden ab, die Individuen an ihre Nachkommen weitergeben und so entsteht eine natürliche Auslese, die Darwin Selektion nennt, wodurch nicht nur das Überleben des einzelnen Individuums, sondern auch der Menge seiner Nachkommen prämiert wird (Junker, Hoßfeld 2001, S. 82). Doch die Kombination von Darwins Prinzipien mit den geistigen Ideen seiner Zeit wirkte auf seine Zeitgenossen auch befremdlich und sogar unverständlich und konnte so zu diesem Zeitpunkt nur eine Minderheit von wissenschaftlichen Kollegen überzeugen (Junker, Hoßfeld 2001, S. 83). Unterstützung erhielt er von verschiedenen Tier und Pflanzenzüchtern, die seine Auffassung der Variabilität der Arten bestätigten (Junker, Hoßfeld 2001, S. 84). In den 1850er Jahren entwickelte Darwin seine Theorie der Divergenz der Arten die besagt, dass je unterschiedlicher die Nachkommen einer Art sind, desto eher können sie unterschiedliche Nischen in der Natur einnehmen und so zahlreicher werden, wodurch er die Entstehung neuer Arten ebenso erklären konnte, wie die ökologische Vielfalt und die stärker spezialisierten Gruppen dadurch weniger miteinander konkurrieren (Junker, Hoßfeld 2001, S. 85). Darwin veröffentlichte seine Evolutionstheorie dann 1859 in „On the Origin of Species“, wobei er allzu wissenschaftlichen Jargon vermied und so auch Nicht-Biologen die Möglichkeit gab, seine Thesen zu verstehen, was sicherlich zu dem enormen Erfolg seines Werkes beitrug (Junker, Hoßfeld 2001, S. 89). Größter Kritikpunkt an Darwins Evolutionstheorie war, dass sie suggerierte, der Mensch hätte gemeinsame Vorfahren mit anderen niederen Tieren und sei aus einer Vorspezies der Affen hervorgegangen, auch wenn Darwin in seinem Werk der endgültigen Klärung dieser Frage auszuweichen versuchte und seinen Standpunkt dazu erst in einem späteren Brief darlegte (Junker, Hoßfeld 2001, S. 90 - 91).

 

04. Fazit

Darwins Evolutionstheorie stützt sich auf die Vorstellung, dass die Natur prinzipiell unendlich viel Zeit zur Verfügung hat um ihre Vielfalt auszugestalten. Arten sind nicht statisch von einem Schöpfergott in die Welt geworfen und bleiben dort unveränderlich. Sie entstammen einem gemeinsamen Ursprung, vielleicht sogar einem einzigen Urorganismus, aus dem sich alle anderen Arten nach und nach entwickelt haben. Durch genetische Mutationen werden Veränderungen in den Genen der Individuen an ihre Nachkommen weitergegeben, was einer Art ermöglicht, sich nach und nach an ändernde Umweltbedingungen anzupassen oder sich auf spezielle Aufgaben zu spezialisieren. Spezialisierung ermöglicht es einer Art einer bestimmte Nische in der Natur zu besetzen und so das Angebot an Ressourcen für sich höher zu halten, weil es weniger opponierende Arten gibt, die auf die gleichen Ressourcen angewiesen sind. Somit sichert jede Art ihr Überleben und erhöht die Zahl der lebensfähigen Nachkommen.

Diese Theorie macht aber nur dann Sinn, wenn die Geschichte der Natur nicht als periodisches Nebeneinander, sondern als zeitliches Nacheinander begriffen werden kann und die Vorstellung einer vernunftbegabten planungsorientierten Entität, wie Gott, bei Seite geschoben wird. Es ist vor allem der unglaubliche Wissenszuwachs, Erfahrungsdruck und der Empiriezwang des 18. und 19.

Jahrhunderts, welcher der Verzeitlichung der Natur den Boden bereitete. Die unglaublichen Mengen an neuen Entdeckungen und Erkenntnissen waren mit den alten Systematiken nicht mehr zu bewältigen. Es schien nicht mehr sinnvoll ähnliche Arten einer Spezies zuzuordnen, wenn sie sich in ihren Eigenschaften doch so stark voneinander unterscheiden. Die Fülle der morphologischen Beschreibungen erforderte somit neue Taxonomien. Die Verzeitlichung der Natur ermöglicht eine neue Sichtweise mit erheblich größerem Erkenntnisgewinn, als dies vorher möglich war. Obwohl die Chronizität immer wieder verworfen wurde, war es dann doch die Fülle an Entdeckungen, die letzten Endes keine andere Möglichkeit ließ, als die alten Systeme zu verwerfen und sich auf eine Geschichte der Natur und einem historischen Blickwinkel einzulassen. Gleichzeitig ließ dies zu, die Wissenschaften selbst als Teil der Geschichte zu sehen und nicht nur als interpretatorisches Moment. Der Wechsel von der Naturgeschichte zur Geschichte der Natur veränderte auch den menschlichen Blickwinkel auf verschiedene Spezies. So konnten Arten nicht mehr als edel oder unedel, rein oder unrein und normal oder abnormal eingestuft werden, weil nun klar wurde, dass jede Spezies und jede Art nur ein Teil eines viel größeren Gesamtkonzeptes ist und sich somit der menschlichen Beurteilung und Zuschreibung entzieht. Verschiedene Spezies können von da an also als gleichwertig betrachtet werden. (Dass diese Vorstellung dann mit dem Aufkommen des Sozialdarwinismus pervertiert wurde, soll hier zwar erwähnt werden, ist aber nicht Gegenstand der Betrachtung). Auch der Mensch konnte durch diesen Wandel in einen anderen Gesamtzusammenhang eingeordnet werden, stellt der doch nicht mehr ein isoliertes Wesen dar, sondern wird nun in die allgemeine Entstehung der Arten eingeordnet. Ob dieser neue Blickwinkel komplexer oder einfacher ist bleibt eine diskussionswürdige Frage. Und auch mit welcher Implikation eine solche Vorstellung für die verbreitete Auffassung der Schöpfungsgeschichte einhergeht, kann sicherlich weiter ausgeführt werden. Es bleibt festzuhalten, dass das Ende der Naturgeschichte und der Anfang der Geschichte der Natur und damit auch die „Entdeckung der Evolution“ wegweisend für ein neues Verständnis von Geschichtlichkeit, Natur und Fortschritt war und die Wissenschaft bis heute entscheidend geprägt hat.

 

Literatur

Junker, Thomas und Hoßfeld, Uwe (2001). Die Entdeckung der Evolution. Darmstadt:

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Lepenies, Wolf (1976). Das Ende der Naturgeschichte. München, Wien: Carl Hanser Verlag